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REISEN-FREIZEIT

Augenschein im Kathmandu-Tal

Paläste, Pagoden und Smartphones

Reisen-Freizeit Freitag, 20. September, 06:00

Die Getreideernte wird verarbeitet – Alltag in den engen Gassen Kathmandus.Die Getreideernte wird verarbeitet – Alltag in den engen Gassen Kathmandus. (Bild: Daniel Hager)

Nepal mag eines der ärmsten Länder sein, doch sein kultureller Reichtum sucht seinesgleichen. Kathmandu und die umliegenden Städte etwa sind so dicht mit Monumenten übersät, dass die Unesco das gesamte Tal zum Weltkulturerbe erklärt hat.

Claudia Hager

Die grossen, mandelförmigen Augen beobachten uns. Unbeweglich, aber nicht unfreundlich. Wir stehen am Fusse einer verwitterten Steintreppe und blicken hoch zu Swayambhunath, dem buddhistischen Stupa mit der goldenen Kuppel und den aufgemalten Augen Buddhas. 365 Stufen führen hinauf, flankiert von Manisteinen und religiösen Figuren. Gebetsflaggen flattern im Wind, jahrhundertealte Bäume spenden Schatten. Ein halbes Dutzend Frauen bietet orangenfarbene Opferblumen feil, und ein Händler sucht das Gespräch, Schmuck und Räucherstäbchen griffbereit. Mit jedem Schritt wird der Kathmandu eigene Duft – eine Mischung aus Smog und Gewürzen – schwächer, allmählich verebbt das Hupkonzert.

Buddhismus und Hinduismus

Oben turnen Affen um Stupa, Tempel und Schreine, erhaschen hin und wieder eine Opfergabe. Die Augen Buddhas im Rücken, blickt man über das Häusergewirr Kathmandus und über den Fluss Bagmati, an dessen Ufer die Hindus ihre Toten verbrennen. Ausserhalb der Stadtgrenze schimmern gelbe Weizenfelder und leuchten Reisterrassen in sattem Grün. Am Rande des Talkessels reihen sich erst bewaldete Hügel, dann Berge aneinander, und dahinter, wie mit Kreide hingemalt und wieder flüchtig weggewischt, sind die Umrisse der Himalajariesen auszumachen.

(NZZ)Swayambhunath, von den Einheimischen auch Affentempel genannt, gilt mit mehr als 2000 Jahren als eines der ältesten Heiligtümer des Kathmandu-Tals. Hier drehen buddhistische Mönche Gebetsmühlen, derweil hinduistische Familien Blumen und Früchte vor die Schreine legen. Kein Widerspruch, sondern Ausdruck der Symbiose, die die beiden Religionen in Nepal vielerorts eingehen. Religiöse Spannungen kennt der Himalajastaat nicht.

Diese Tempelanlage ist eine der sieben Stätten, welche die Unesco hervorhob, als sie 1979 wegen der Dichte an religiösen, politischen und kulturellen Monumenten das gesamte Kathmandu-Tal zum Weltkulturerbe erklärte. Weiter zählen der buddhistische Stupa von Bodnath und die hinduistischen Tempel Pashupatinath und Changu Narayan dazu; ebenso die einstigen Königsstädte Patan, Bhaktapur und Kathmandu.

Wir verabschieden uns vom Affentempel und begeben uns zurück in die Stadt. Die Gassen sind prall gefüllt mit Menschen und Mopedfahrern, doch die Hitze des Tages ist einem angenehmen Lüftchen gewichen. Als wir im Vorort Bodnath ankommen, dämmert es bereits. Hier steht einer der grössten buddhistischen Stupas der Welt: 40 Meter Durchmesser, 36 Meter hoch. Gläubige entzünden Butterlampen, und bald schon flackern Myriaden von Flämmchen in der Abendluft. Langsam umkreisen nepalesische und tibetische Buddhisten im Uhrzeigersinn den weissen Sockel, die 108 Perlen ihrer Gebetskette zählend. Das Mantra «Om Mani Padme Hum» hallt leise durch die Dunkelheit, während oben die Augen Buddhas über die Stadt wachen.

Am nächsten Tag machen wir uns auf nach dem Durbar Square, dem kulturellen Zentrum Kathmandus. Wir lassen uns von der wogenden Menschenmasse mitführen, durch schmale Gassen, gerahmt von altehrwürdigen Häusern. Händler thronen im Schneidersitz zwischen Seiden- und Baumwollballen, Frauen drapieren schillernde Armreifen, Gewürzverkäufer wachen über Chili-, Kurkuma- und Masalapulver. Ein Mann preist Fernseher und Mobiltelefone an, ein Knabe balanciert vier Gläser mit Chai, dem zuckerschweren Gewürztee. Löst man die Augen vom Geschäftsleben, fallen einem die vielen Tempelchen und Schreine auf, die an Hausecken, in Wandnischen und Hinterhöfen zu finden sind. Die Einwohner integrieren ihre Religion ganz selbstverständlich in den Alltag: Ein junger Mann mit Sonnenbrille hält kurz vor einem Abbild Shivas inne, tippt sich an die Stirn, eine Frau entzündet ein Räucherstäbchen, ehe sie weitereilt.

Bald stehen wir auf dem Durbar Square. Der Platz mit seinen Palastbauten und über 50 Pagoden und Tempeln zeugt von der Grandeur der Malla-Könige, die vom 12. bis zum 18. Jahrhundert über das Kathmandu-Tal herrschten. Eindrucksvoll sind die Pagoden mit den breiten Treppen und gestuften Dächern – beides symbolisiert die Schritte der religiösen und spirituellen Erleuchtung. Kunstvoll geschnitzte Holzbalken tragen die einzelnen Stockwerke; die braunschwarzen Fenster und Türrahmen sind nicht minder aufwendig gefertigt und kontrastieren mit den roten Backsteinwänden. In den Schnitzereien sind Tiergestalten, Blumenmuster, tantrische Figuren sowie buddhistische und hinduistische Götter in verschiedenen Verfassungen abgebildet: einmal gnädig und freundlich, dann auch ernst oder zornig.

Pulsierende Spiritualität

Morgens bringen Gläubige den Göttern Speisen. Bald bedecken Reiskörner und Blütenblätter die Treppen der Tempel. Dennoch ist von Ruhe wenig zu spüren. Marktfrauen bieten auf den Stufen der Pagoden Blumenkohl, Spinat und Kartoffeln feil, Strassenhändler verkaufen Popcorn und Bananen, Kinder füttern Tauben, in nächster Nähe quietschen Bremsen, hupen Autos.

Wesentlich bedächtiger geht es in Bhaktapur zu und her, östlich von Kathmandu gelegen und mit dem Auto in etwa 40 Minuten erreichbar. Auch die ehemalige Königsstadt wartet mit imposanten Palastbauten auf – und mit über 170 Tempeln. Die Holzschnitzereien beschränken sich allerdings nicht auf königliche und religiöse Bauten: Die roten Backsteinhäuser des gesamten Städtchens weisen prunkvoll verzierte Fenster, Giebel und Türrahmen auf.

Traditionelles lebt hier in Einklang mit Modernem: So schöpfen Frauen Wasser aus Ziehbrunnen, während ihre Töchter eifrig in Smartphones tippen. Fünf Männer färben Tücher in einem grünlichen Teich, zwei andere belegen einen ganzen Platz mit Tontöpfen zum Trocknen, wieder andere kurven auf Motorrädern durch die geschichtsträchtigen Strassen. Holzschnitzer und Maler sind in ihr Handwerk vertieft; in einer anderen Gasse sieht man bloss einen gelben Schleier: Drei Frauen dreschen Korn zwischen den engen Häuserzeilen. Ob Bhaktapur oder Bodnath, Palast oder Pagode: Nepals kulturelles Erbe ist im Kathmandu-Tal allgegenwärtig – wie die Religion im Leben der Einwohner und der Schnee auf den Bergen des Himalaja.

http://www.nzz.ch/lebensart/reisen-freizeit/palaeste-pagoden-und-smartphones-1.18153020